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07.02.2023

Für Stolpersteine um den halben Globus

Der Künstler Gunter Demnig verlegt vier Stolpersteine in der Theodor-Heuss-Allee
Der Künstler Gunter Demnig verlegt vier Stolpersteine in der Theodor-Heuss-Allee. Auch am Max-Planck-Gymnasium, in der Brotstraße und in der Krahnenstraße liegen nun neue Gedenksteine.
Aus der ganzen Welt reisten die Angehörigen nach Trier, um bei der Verlegung der Gedenksteine für ihre Vorfahren dabei zu sein. An vier Stellen in der Stadt liegen nun neue Stolpersteine, welche das Schicksal von Menschen würdigen, die während der NS-Zeit aus Deutschland fliehen mussten.

Wortlos kniet sich Gunter Demnig auf den Boden und beginnt damit, mit einer kleinen Schippe einige Pflastersteine aus dem Gehweg herauszulösen. Neben ein paar Eimern stapeln sich vier steinerne Quader mit blanken Messing-Oberflächen, in welche die Namen der jüdischen Ärztefamilie Steinberg eingraviert sind.

Während der Künstler Demnig seinem Werk nachgeht, erläutert Kulturdezernent Markus Nöhl, welche Bedeutung dieses Projekt hat: „Die Nationalsozialisten wollten diese Menschen nicht nur physisch vernichten – sie wollten jede Erinnerung an sie auslöschen." Mit der Verlegung der Gedenksteine setze die Stadt dieser Menschenfeindlichkeit etwas entgegen.

Insgesamt 22 Stolpersteine werden an diesem Tag an vier Orten in Trier zum Gedenken an die im Nationalsozialismus vertriebenen, deportierten und ermordeten Menschen in den Boden eingelassen.

Angehörige bewegt

Außergewöhnlich ist an diesem Tag das internationale Publikum, welches der Verlegung der Steine beiwohnt. An der ersten Station, dem Max- Planck-Gymnasium (MPG), verfolgen Sohn und Enkel des 1934 vertriebenen Norbert Wohlgemuth die Zeremonie, mit welcher dem Schicksal ihres Vorfahren gedacht wird. Extra zu diesem Anlass sind die beiden aus Schweden angereist. Sowohl Vater Lennart als auch Sohn Mikael zeigen sich bewegt von dem herzlichen Empfang, den das Gymnasium und die Stadt ihnen bereiten. „Besonders beeindruckt hat mich die Ernsthaftigkeit, mit der die Schüler den Vortrag über meinen Vater vorbereitet haben", erzählt Lennart Wohlgemuth beim anschließenden städtischen Empfang im Foyer des Rathauses. „Diese Art des Erinnerns ist einzigartig, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern stellt Deutschland sich seiner Geschichte", beschreibt der 82-Jährige seine Eindrücke.

Wissenschaftstalent

Die Geschichte seines Vaters Norbert Wohlgemuth ist charakteristisch dafür, wie die Nationalsozialisten mit ihrer Ideologie nicht nur das Leben von Menschen willkürlich zerstörten, sondern auch wissenschaftliche Talente im Keim erstickten. Unter fünf Nobelpreisträgern studierte Wohlgemuth Mathematik, Physik und philosophische Propädeutik. Zwar konnte er 1932 noch sein erstes Staatsexamen für das Lehramt ablegen, musste sein Studium nach der Machtergreifung Hitlers jedoch abbrechen.

Ihm gelang die Flucht nach Schweden. Doch der Bedrohung in Deutschland entflohen, schlug ihm auch in Schweden als deutschem Juden Misstrauen entgegen. Ohne Arbeitserlaubnis kämpfte er sich viele Jahre als Privatlehrer, Übersetzer und Sekretär durch. „Im Gegensatz zu meiner Mutter ist mein Vater nie richtig in Schweden angekommen. Er hat sich immer als Mitteleuropäer verstanden", berichtet Lennart Wohlgemuth. So kehrte der vertriebene Wohlgemuth 1965 zurück in die Region und unterrichtete – mit Wohnsitz in Luxemburg – am Trierer MPG. Mehrfach erlebte sein Enkel Mikael, dass er in Trier wegen seines Nachnamens auf seinen Großvater angesprochen wurde: „Er war wohl ein außergewöhnlicher Lehrer und sehr charismatisch. Im Chemie-
unterricht hat er absichtlich immer etwas größere Versuchsmengen verwendet als empfohlen. Die Schüler haben es natürlich geliebt, wenn die Dinge spektakulär explodiert sind."

Von Kontinent zu Kontinent

Einen noch weiteren Weg haben die Angehörigen der Familie Abrahamson auf sich genommen. Peter Abrahamson, für dessen vertriebene Großeltern, Vater und Onkel in der Brotstraße nun vier Stolpersteine verlegt wurden, hatte anlässlich dieses Termins die über den ganzen Globus verstreute Familie zusammengetrommelt: „Ich habe niemandem gedrängt, sondern scheinbar als eine Art Katalysator gewirkt. Alle hatten von sich aus das klare Gefühl, es sei wichtig, bei diesem Termin dabei zu sein", betont er. Um bei der Würdigung ihrer Vorfahren mitzuerleben, kamen die Mitglieder der Familie Abrahamson somit aus Deutschland, Brasilien, Australien und den USA nach Trier.

Peter Abrahams Vater Fritz floh 1934 zunächst nach London. Nach dem Willen seiner Mutter Henriette sollte er dort Englisch lernen. Doch getrieben von der Sorge, die Nazis könnten ganz Europa erobern, wollte die Mutter ihren Sohn so weit wie möglich fort von Europa in Sicherheit bringen. So führte Fritz Abrahamsons Weg über den Atlantik nach Brasilien.

Unglücklich in dieser fremden Welt, trieb es ihn nach mehreren Jahren jedoch wiederum weiter nach Australien. „Mein Großvater hat nie über das gesprochen, was er erlebt hat", erzählt seine Enkelin Gabby. „Erst als er über 90 war, ist er altersmilde geworden. Mein Vater Peter hat ihn zwei Jahre vor seinem Tod noch in einem Video interviewen können." Die Geschichte seiner Verfolgung und Entwurzelung ist in englischer Sprache unter dem Titel „An Interview with Frederik and Hanne Abrahamson" auf YouTube zu finden.

Die Verlegung der Stolpersteine hat eine über den gesamten Globus verstreute Familie in Trier wieder zusammengeführt. „Wir empfinden tiefe Dankbarkeit für das Gefühl, in Trier willkommen zu sein", sagt Peter Abrahamson. Auch seine Tochter Gabby ist bewegt von dem Tag: „Obwohl ich zwei Generationen von diesen Geschehnissen entfernt bin, war diese Zeremonie sehr heilsam für mich. Es fühlt sich so an, als könnte ich innerlich nun mit etwas abschließen."

Helena Belke