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07.02.2020

Oft sind schon die ersten Hürden zu hoch

Wissenschafts- und Weiterbildungsminister Konrad Wolf (l.) und Bürgermeisterin Elvira Garbes (v. l.) mit den Teilnehmern des Workshops.
Wissenschafts- und Weiterbildungsminister Konrad Wolf (l.) und Bürgermeisterin Elvira Garbes (v. l.) mit den Teilnehmern des Workshops.

(pe) Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Nach der Leo II-Bildungsstudie von 2019 haben rund 6,2 Millionen Menschen in Deutschland Probleme mit dem Lesen und Schreiben. Oft schämen sie sich, können Sozialleistungen nicht nutzen, haben Probleme auf der Arbeit und sind vom gesellschaftlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Damit die Lese- und Schreibkurse der Volkshochschulen diesen Herausforderungen noch besser gerecht werden, hatten bei einem Workshop in Trier die Betroffenen das Wort.

Die Selbsthilfegruppen „Wortsalat“ aus Trier und „SaluMa“ aus Ludwigshafen hatten mit Unterstützung des Bundesprojekts Knotenpunkte für Grundbildung im Bildungs- und Medienzentrum rund 30 Lernende zu einem zweitägigen Workshop eingeladen. Neben dem Erfahrungsaustausch und der Stärkung des Selbstbewusstseins ging es um die Frage, wie die Kurse gezielter helfen können und wo es im Alltag noch hakt. Die Lernenden hatten prominente Zuhörer: Neben Bürgermeisterin Elvira Garbes schaute der Mainzer Wissenschafts- und Weiterbildungsminister Konrad Wolf vorbei. Sein Haus steuerte 7400 Euro für die Tagung bei und stellte 2019 in Rheinland-Pfalz 1,63 Millionen Euro für mehr als 20.000 Unterrichtsstunden in der Alphabetisierung und Grundbildung bereit.

Als Sprecherinnen der Selbsthilfegruppen benannten Kerstin Goldenstein („Wortsalat“) und Sirikit Schorer („SaluMa“) eine ganze Reihe von Hürden. So gibt es beispielsweise bei Jobcentern, Sozialämtern oder Krankenkassen zu wenig symbolisch gestaltete, bildliche Hinweisschilder. Viele Betroffene scheitern schon daran, den passenden Ansprechpartner zu finden, von den manchmal schwer verständlichen und komplizierten Antragsformularen ganz zu schweigen. Garbes gestand den Nachholbedarf ein: „Dafür müssen wir noch viel mehr sensibilisieren.“

Nach Einschätzung von Minister Wolf droht mit der Digitalisierung noch eine Verschärfung dieses Problem: „Heute schreiben wir immer mehr Kurznachrichten statt zu telefonieren. Digitale Techniken bestimmen den Alltag, zum Beispiel bei Bank-Apps und Fahrkarten-Automaten.“ Gezielte Hilfen für Menschen mit Problemen beim Lesen und Schreiben seien daher auch ein zentraler Beitrag zu mehr gesellschaftlicher Teilhabe. Nach Aussage von Garbes kann es sich die Gesellschaft nicht leisten, auf die vielen brach liegenden Ressourcen der Menschen mit Lese- und Rechtschreibschwäche zu verzichten: „Die Zahlen zeigen eindeutig, dass es nicht um ein Randphänomen handelt, sondern ein Problem mitten in der Gesellschaft. Wir müssen dringend die Stigmatisierung der Betroffenen überwinden.“

Beim Einsteig in die Kurse geht es auch immer wieder darum, die Hemmschwellen möglichst niedrig zu halten. Goldenstein schilderte eindrücklich, warum das nötig ist: „Ich habe vor allem aus Scham und Unsicherheit fünfmal meinen Anlauf abgebrochen. Erst beim sechsten Mal hat es geklappt.“ Damit die Lernenden auch am Ball bleiben, sind neben der gegenseitigen Unterstützung nach Einschätzung von Goldstein Unterrichtsinhalte gefragt, die sich am Alltag orientieren. Sie benannte noch ein Manko: „Leider kommt es immer wieder vor, das bei Lese- und Schreibkursen mit Erwachsenen Schulbücher für Kinder und Jugendliche eingesetzt werden.“

Die Erfahrungen bei der Tagung, in der es auch um gesunde Ernährung und Bewegungsförderung ging, waren so positiv, dass die Selbsthilfegruppen über eine Neuauflage nachdenken. Neben dem großen ehrenamtlichen Engagement ist es nach Einschätzung von Dr. Susanne Barth (Knotenpunkte-Projekt) aber auch nötig, dass dauerhaft hauptberufliche Strukturen in den Kommunen entstehen, damit Menschen mit Lese- und Schreibschwäche einen festen Anlaufpunkt vor Ort haben.

Hinweis an die Redaktionen: Unter Downloads finden Sie das zur Veröffentlichung freigegebene Foto in hoher Auflösung. Bitte geben Sie als Bildnachweis „Städtisches Bildungs- und Medienzentrum“ an.

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