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04.01.2022

Falsches Spiel mit Büchern

Das Buch Alice von Karina Urbach.
"Das Buch Alice" von Karina Urbach. Foto: Wissenschaftliche Bibliothek
Die Wissenschaftliche Bibliothek stellt mit „Das Buch Alice“ von Karina Urbach ein „Buch des Monats“ vor, dessen Untertitel „Wie die Nazis das Kochbuch meiner Großmutter raubten“ schon zeigt, wie wenig manche Bereiche der Judenverfolgung und Enteignung erforscht sind. Diese Präsentation soll jüdischen Autoren ihre Ehre und Würde zurückgeben und ist daher auch ein Beitrag zu dem kürzlich verlängerten Jubiläumsjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.

Begriffe wie Raubkunst oder Arisierung sind im kollektiven Bewusstsein bereits angekommen. Viele Trierererinnen und Trierer, die am Kaufhaus Sinn & Leffers vorbeikommen, wissen, dass es früher der jüdischen Familie Haas gehörte. Die Stolpersteine erinnern an die jüdischen Einwohner Triers. Es gibt aber noch viele unbekannte Facetten der Enteignung und Verfolgung. Die Historikerin Karina Urbach erzählt vor diesem Hintergrund die Geschichte ihrer Großmutter Alice: Nachdem die erfolgreiche Köchin und Buchautorin als Jüdin aus Österreich fliehen musste, veröffentlichte der Verleger ihr Buch „So kocht man in Wien!“ nach kleinen Korrekturen unten dem fiktiven Namen Rudolf Rösch. Ein Foto mit den Händen von Alice Urbach schmückte weiterhin den Einband. Ihre Enkelin schreibt: „Es gibt noch nicht einmal einen Namen dafür, was Verlage wirklich gemacht haben. Sie haben Bücher von jüdischen Autoren in arische Bücher verwandelt. Und dazu mussten sie dann Strohmänner einsetzen. Und das ist Alice passiert.“

Die Bibliothek hat in ihren Beständen zwar kein Buch von Alice Urbach, aber ähnliche Fälle lassen sich belegen: Im Magazin gibt es viermal den „Kommentar zur Rechtsanwaltsordnung“ von 1908, 1920, 1930 und 1934. In den ersten drei Auflagen stehen als Autor Adolf und Max Friedlaender, in der letzten Erwin Noack. Die Brüder Adolf und Max Friedlaender kamen aus einer angesehenen Familie und wurden erfolgreiche Juristen. Nach 1933 wurden sie als „nicht arisch“ ihrer Ämter enthoben. Den zum Standardwerk avancierten „Kommentar zur Rechtsanwaltsordnung“ gab es nicht mehr im Buchhandel. Stattdessen entdeckte Max Friedlaender zufällig eine Veröffentlichung mit dem gleichen Titel und stellte fest, dass es aus Exzerpten seines Buches besteht. Nach der Pogromnacht 1938 verließ er Deutschland. Sein Doktortitel wurde ihm aberkannt und die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. Er starb 1956 in London. Sein in Frankfurt lebender Bruder beging 1942 kurz vor der drohenden Deportation Selbstmord. Seine Tochter und erste Ehefrau wurden in Konzentrationslagern ermordet.

Verlag gab Rechte zurück

Die Autorin von „So kocht man in Wien!“ hatte mehr Glück: Alice Urbach emigrierte 1938 nach England und 1946 in die USA. Ihre drei Schwestern kamen im Holocaust ums Leben. Das Buch ihrer Enkelin Karin wurde schon in mehrere Sprachen übersetzt. Zudem hat sich der Münchner Ernst- Reinhardt Verlag bei der Autorin entschuldigt und gab die Rechte an demBuch der Familie Urbach zurück. Die Wiener Bibliotheken und die Deutsche Nationalbibliothek haben bei der Ausgabe von 1938, die bisher unter dem Namen Rudolf Rösch zu finden waren, einen Hinweis auf die korrekte Urheberschaft angebracht.

Mit „Das Buch Alice“ (Abbildung links: Bibliothek) hat Karin Urbach den jüdischen Verfasserinnen und Verfassern ihre Sichtbarkeit zurückgegeben und dafür gesorgt, dass die Aufarbeitung der geraubten Autorenschaft zum wichtigen Thema wurde. Ein Eintrag im Bibliothekskatalog über die wahre Urheberschaft der Bücher ist nicht so auffallend wie Stolpersteine, aber ein wichtiger und unverzichtbarer Schritt, um den jüdischen Autoren ihre Ehre und Würde zurückzugeben.

Dr. Magdalena Palica