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07.09.2021

Die Odyssee des Ada-Evangeliars

Der prächtige Goldeinband der Handschrift enthält neben zahlreichen Edelsteinen als zentralen Schmuckstein einen römischen Adler-Kameo mit einer Darstellung der konstantinischen Familie.
Das Ada-Evangeliar blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück – unter anderem landete es Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich. Archivfoto: Stadtbibliothek.

Der September-Podcast der Wissenschaftlichen Bibliothek widmet sich dem Schicksal des Ada-Evangeliars. Das Meisterwerk der karolingischen Hofschule Kaiser Karls des Großen gehört zu dessen größten Schätzen. Es gibt noch viele offene Fragen, wie den Entstehungsort oder die Rolle der geheimnisvollen Namensgeberin. Ziemlich genau hingegen kann man die Besitzgeschichte in den letzten 200 Jahren rekonstruieren. Dass dieser Schatz im Besitz der Bibliothek blieb, war nicht immer selbstverständlich. Das ist vielen Trierern zu verdanken, die sich für die Rückgabe der Handschrift nach ihrer langjährigen Odyssee eingesetzt haben.

Kulturgüter nach Paris transportiert

Das Evangeliar ist zwischen 790 und 810 entstanden. Als Orte kommen neben Trier auch ein Skriptorium des Klosters Lorsch oder Mainz in Frage. Seit dem frühen zwölften Jahrhundert ist es in den Katalogen der Bibliothek der Abtei St. Maximin nachgewiesen. Wie es nach Trier gelangt ist, bleibt unklar. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts musste die kostbare Handschrift die Stadt verlassen.

Europa wurde durch die Koalitionskriege erschüttert. Für Napoleon waren nicht nur neue Länder und politische Erfolge wichtig, er wollte auch bedeutende Kulturschätze im Pariser Louvre präsentieren. Am 10. August 1793 wurde das große Museum François, ab 1803 Musée Napoléon genannt, für das Publikum geöffnet. In den nächsten Jahren wuchs die Sammlung um zahlreiche bekannte Kunstwerke aus ganz Europa. 1794 hatten französische Truppen begonnen, große Mengen an Kunst- und Kulturgütern aus den besetzten Gebieten zu beschlagnahmen und nach Paris zu transportieren.

Als sich die französischen Truppen Trier näherten, beschloss der Leiter der Abteibibliothek St. Maximin, Mönch Sanderad Müller, die wertvollsten Bücher und Archivalien auf rechtsrheinischem Gebiet in Sicherheit zu bringen – darunter das Ada-Evangeliar.

Die Odyssee der Handschrift, die erst 24 Jahre später wieder nach Trier zurückkehrte, begann im Sommer 1797. Der Bibliothekar packte die kostbarsten Schätze der Maximiner Abtei ein und suchte Zuflucht in Aschaffenburg, später in Hanau, Bayreuth und Mainz. Zwei Jahre blieben die Kunstschätze im Besitz von Müller. Erst bei einer Durchsuchung seiner Wohnung gelangte das Ada-Evangeliar dann doch in französische Hände. Es wurde in die Königliche Bibliothek in Paris transportiert und dem Musée Napoléon übergeben. Pariser Zeitzeugen berichteten: „Der Codex (…) wurde wegen seiner Kostbarkeit viele Tage zur Schau ausgestellt, in französischen Zeitungen bewundert und 200. 000 fr. wertgeschätzt“.

König setzt sich für Rückgabe ein

Nach der Niederlage Napoleons und dem Wiener Kongress 1815 wurden zahlreiche Kunstwerke zurückgefordert. Der Schriftsteller und Politiker Eberhard von Groote kümmerte sich um die Rückgabe in Berlin. Das Ada Evangeliar war nach Auskunft der französischen Behörden nicht mehr auffindbar. Groote gab sich aber damit nicht zufrieden und nahm die Ermittlungen in der Nationalbibliothek auf.

Es sollte aber noch drei Jahre dauern, bis das Evangeliar nach Trier zurückkehrte. Zuerst wurde es nach Aachen gebracht. Dort wurde inzwischen eine Übergabe an die zu neu eröffnende Rheinische Universität in Bonn geplant. Trierer Wissenschaftler, etwa Johann Hugo von Wyttenbach, Leiter der Stadtbibliothek, wollten diese Entscheidung nicht akzeptieren. Der Stadtbibliothekar bemühte sich monatelang und schrieb Briefe an die preußische Regierung.

Bedeutende Persönlichkeiten wie Jakob Grimm setzten sich unermüdlich für die Rückgabe ein. Der Streit erreichte die höchsten Instanzen: König Friedrich Wilhelm III. sprach sich für die Rückgabe aus. Am 18. April 1818 berichtete die Trierische Zeitung: „Die Rückforderung des jetzt in Aachen, vorher in Paris befindlichen Codex aureus von Maximin, dieses herrlichen literarischen Schatzes, hat für Trier einen günstigen Ausgang genommen. Die hiesige Stadtbibliothek wird ihn auf Befehl Sr. Majestät, unseres gerechten Königs, unverzüglich ausgeliefert erhalten.“ Nach 24 Jahren kehrte das Evangeliar zurück.

Meisterwerk der Buchkunst

Besonders in einer Pandemie, wenn Reisen nicht mehr selbstverständlich ist, sollten die beiden Trierer Bibliothekare in guter Erinnerung gehalten werden. Dank ihres Einsatzes kann bald wieder in der Schatzkammer ein großes Meisterwerk der mittelalterlichen Buchkunst bewundert werden, ohne nach Paris reisen zu müssen.

Zu hören ist der Podcast unter www.stadtbibliothek-weberbach.de.