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09.06.2020

Zur Freiheit verurteilt

Jean-Paul Sarte (1965)
Jean-Paul Sarte (1905-1980) machte sich als Philosoph und Autor einen Namen. Er verfasste auch mehrere Theaterstücke. Foto: Wikimedia Commons/Dutch National Archives
Nach der Wiedereröffnung ist in der Stadtbibliothek Weberbach die Arbeitsplatzzahl begrenzt. Daher bietet sie als „Buch des Monats" zunächst einen kostenlosen Podcast (www.stadtbibliothek-weberbach.de) an. Der erste ist dem berühmten Schriftsteller und Philosophen Jean-Paul-Sartre gewidmet, der im Zweiten Weltkrieg in ein Lager auf dem Petrisberg gebracht wurde. Die Kriegsgefangenschaft prägte den späteren Literaturnobelpreisträger auf ganz eigene Weise.

Der Zweite Weltkrieg und der massive Nazi-Terror stellten Werte wie Gerechtigkeit oder Menschenwürde in Frage. Die Menschen waren entpersonalisiert und entmachtet, wie Gefangene in einem Lager. Als Sartre im August 1940 die Freiheit entzogen wurde, löste dies tiefgründige Gedanken aus: Was macht den Menschen frei? Kann man auch in Gefangenschaft frei sein? In seinem späteren Hauptwerk „Das Sein und das Nichts", dem dem theoretischen Fundament des Existentialismus. bejaht er diese Frage. Die Freiheit sei der Kern der menschlichen Existenz, unabhängig von Umständen. Man solle immer seine Werte leben und sich treu bleiben. Der Mensch möge sich immer selbst definieren und sei für seine eigene Existenz und Taten verantwortlich. Später formulierte er: „Wir sind zur Freiheit verurteilt."

Briefe an die Gefährtin

Seine Zeit im Lager schildert Sartre in Briefen an Lebensgefährtin Simone de Beauvoir, so am 12. August 1940: „Hier geht immer noch alles sehr gut, ich lese Paul Bourget und arbeite an meinem philosophischen Buch." Einige Tage später: „Wir schlafen zu 15 auf dem Boden und leben hauptsächlich in liegender Position, ich lese im Liegen, ich schreibe im Liegen und stelle mir vor, ein alter Römer zu sein."

Weitere Briefe machen deutlich, wie Sartre neue Ideen sammelte: „Ich bin in einem Lager oben auf dem Hügel, zuerst war ich Sanitär, nun bin ich ,Künstler‘, ich schreibe Stücke, die ich inszeniere und die man sonntags spielt. Meine besten Freunde sind ein Jesuit und ein Dominikaner, es geht mir nun so gut wie nur möglich." Am 10. Dezember 1940 heißt es: „Und denken Sie auch daran, dass ich überhaupt nicht unglücklich bin. Stellen Sie sich im Gegenteil vor, was es für einen Schriftsteller bedeuten kann, sein ganzes Publikum zu kennen und genau für dieses Publikum zu schreiben – und für einen Bühnenautor, seine Stücke selbst zu inszenieren und zu spielen (…) Ich lese Heidegger und habe mich nie so frei gefühlt."

Beeindruckte Mitgefangene

Sartre hielt Vorträge über bedeutende Autoren und Philosophen: Rainer Maria Rilke, André Malraux und Martin Heidegger. Ein Mitgefangener und Freund – der Priester Marius Perrin – berichtet: „Er sprach einfach, aber wie einer, der es gewohnt ist. (…) Er sucht die Worte nicht, aber sie sind gewählt. Er zitiert wenig: nur ab und zu eine kurze Formel, einen typischen Ausdruck. Er ist spürbar durchdrungen von der Substanz seiner Texte. (…) Wie, sage ich mir, hat er sich fern von jeder Bibliothek und in dieser Notlage, in der wir uns befinden, einen so freien Geist, ein so präzises Gedächtnis bewahren können?" Die beeindruckten Mitgefangenen konnten sich kurz von ihrem düsteren Alltag befreien. Das Fehlen der Bücher weckte Sartres schöpferischen Kräfte: Seine tiefe Suche in sich selbst nach den wichtigen Themen und das innerliche Bearbeiten der philosophischen Fragen ergaben neue Ideen. Sartre wurde dank Perrins Unterstützung im März 1941 entlassen und kehrte nach Paris zurück.

Im Sommer 1953 kam er mit Simone de Beauvoir zurück nach Trier. Den kurzen Aufenthalt beschreibt sie in ihren Memoiren: „Sartre zeigte mir auf einer Anhöhe oberhalb Triers die Überreste des Stalags. Der Anblick machte großen Eindruck auf mich. Aber der Stacheldraht und die wenigen Baracken, die stehengeblieben waren, sagten mir viel weniger als Sartres Schilderungen." Heute erinnert auf dem umgestalteten Petrisberg der Name der zentralen Promenade durch den Park an Sartre.

Der Podcast wurde konzipiert von Dr. Magdalena Palica von der Bibliothek, Sprecherin ist die Trierer Journalistin Bettina Leuchtenberg. Wer mehr über Sartre wissen will, kann Bücher über den Online-Katalog bestellen und abholen.