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03.11.2020

Zeugnis für lebendige Erinnerungskultur

Stolpersteine am Kaiser-Wilhelm-Gymnasium.
Die Stolpersteine, die Gunter Demnig zur Erinnerung an verfolgte und ermordete Abiturienten des Kaiser-Wilhelm-Gymnasiums verlegt hat, fügen sich im Gehwegpflaster der Böhmerstraße zu einem auffälligen Muster zusammen.

Die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig sind das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Die im Straßenpflaster verlegten Messingplatten erinnern auch in Trier vor den früheren Wohnhäusern jüdischer Bürgerinnen und Bürger an Einzelschicksale des Holocaust. Jetzt hat Demnig in der Böhmerstraße zum Gedenken an verfolgte Abiturienten des Königlichen Kaiser-Wilhelm- Gymnasiums 24 weitere Stolpersteine verlegt.

Harry Isay wurde 1887 geboren und legte 1907 das Abitur am Trierer Kaiser-Wilhelm-Gymnasium ab. Als jüdischer Journalist schrieb er unter anderem für die von dem späteren Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky herausgegebene Zeitschrift „Die Weltbühne“. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten emigrierte er 1933 nach Paris. Nachdem eine geplante weitere Flucht in die USA fehlgeschlagen war, wurde Isay 1942 im mittlerweile deutsch besetzten Frankreich durch die Gestapo verhaftet und in einem Sammellager vor den Toren von Paris interniert. Weniger später folgte die Deportation in das KZ Auschwitz, wo er ermordet wurde.

An Isays Schicksal, das exemplarisch für viele jüdische Biographien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht, erinnerten vergangene Woche Schülerinnen und Schüler des Max-Planck- und des Humboldt-Gymnasiums bei einer Gedenkfeier im Kurfürstlichen Palais. Beide Schulen haben ihre Wurzeln im Kaiser-Wilhelm- Gymnasium, das in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg mit 15 Prozent einen besonders hohen Anteil jüdischer Schüler aufwies. Während der NS-Zeit erlitten sie Verfolgung, Vertreibung, Flucht und Tod, wie die insgesamt 24 von den Schülern recherchierten Biographien zeigen. Nur wenige, wie zum Beispiel der Weinhändler und linksliberale Stadtverordnete Sigmund Loeb, überlebten die Lagerhaft. Die Stolpersteine, die jetzt am früheren Standort des Gymnasiums an der Ecke Böhmerstraße und Nikolaus-Koch-Platz verlegt wurden, erinnern aber nicht nur an jüdische Abiturienten, sondern auch an weitere Nazi-Gegner, die die Schule besuchten. Darunter: Wilhelm Boden, der erste Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, und Johannes Hoffmann, erster Regierungschef des Saarlands. Der Zentrumspolitiker Boden wurde 1933 seiner Ämter enthoben und für sieben Monate inhaftiert. Hoffmann engagierte sich publizistisch gegen den Beitritt des Saargebiets zum Deutschen Reich. Nachdem dieser 1935 erfolgt war, musste er emigrieren. Nach den Stationen Luxemburg und Frankreich gelang ihm 1941 die Flucht über Portugal und Spanien nach Brasilien.

Oberbürgermeister Wolfram Leibe betonte in seiner Ansprache: „Diese Veranstaltung zeigt, dass wir eine lebendige Erinnerungskultur haben und darüber dürfen wir uns freuen. Es ist wertvoll und wichtig, den Menschen, die getötet und diskriminiert wurden, ein Gesicht zu geben.“ Per Videobotschaft nahm auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer an der Gedenkfeier teil und bedankte sich bei der Schülerschaft: „Ihr leistet einen wichtigen Beitrag gegen das Vergessen. Die Stolpersteine sind ein Mahnmal gegen Hass und Gewalt und es ist unsere gemeinsame Verantwortung, die Erinnerung in unserem kollektiven Gedächtnis zu bewahren.“ Die Gestaltung der Gedenkfeier übernahmen Mitglieder des HGT- Schulorchesters. Acht Schülerinnen und Schülern rezitierten als Sprechchor sehr eindringlich die „Todesfuge“ von Paul Celan, die mit dem Satz endet: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“.