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17.01.2012

Trier vor 90 Jahren teuerste deutsche Stadt

In der Diskussion um die Eurokrise wird öfters die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg als Schreckensszenario bemüht. Die Trierer hatten vor 90 Jahren nicht nur darunter zu leiden, dass die Löhne kaum noch für den Lebensunterhalt reichten. Der Versailler Vertrag riss die Stadt aus einem intakten Wirtschaftsraum heraus und verschärfte die Krise. Im Kurtrierischen Jahrbuch 2011 stellt Manfred Wilhelmi in einem Aufsatz außerdem dar, wie stark das Rathaus bei der Sicherung der Lebensmittelversorgung und im Kampf gegen die Wohnungsnot gefordert war.

Der Friedensvertrag von Versailles, führte für das Deutsche Reich als ein Hauptverlierer des Ersten Weltkriegs zu harten Einschnitten. Trier war von einem Tag auf den anderen von wichtigen Wirtschaftspartnern im Westen und Südwesten abgeschnitten und „geriet aus dem Mittelpunkt eines intakten Wirtschaftsraums an die äußerste Grenze des Reiches. Die meisten Verkehrswege liefen als tote Strecken aus“, erläutert Wihelmi in seinem Aufsatz „Milchnot – Kindernot“. Die Lage verschärfte sich, als französische Truppen wegen ausbleibender Reparationszahlungen das Rheinland besetzten und die Geschäftskontakte Trierer Firmen dorthin ebenfalls stark zurückgingen. Zahlreiche Entlassungen waren die Folge
Proviantamt geplündert

Im landesweiten Vergleich der Geldentwertung belegte die Stadt einen traurigen Spitzenplatz: Der Verfall der Währung sorgte 1922 dafür, dass Trier nach einer Untersuchung des Statistischen Reichsamtes teuerste Stadt in Deutschland war. Die wöchentlichen Ausgaben einer fünfköpfigen Familie für Lebensmittel lagen im Juli 1914 bei 15,41 Mark, im November 1922 bei  5024 Mark. Hingegen stieg der durch-schnittliche Wochenlohn eines Handwerkers im gleichen Zeitraum von 40 auf „nur“ 8000 Mark.

Der soziale Friede war akut gefährdet. Am 24. November 1918 wurde das Proviantamt in Kürenz geplündert. Schwere Krawalle folgten im Juli 1920. Außerdem blühte der Schwarzmarkt. Auf einem Plakat warnten Oberbürgermeister Albert von Bruchhausen und die Polizei vor Plünderungen und wiesen auf die hohen Strafen hin.

Mit der Zwangsbewirtschaftung der Lebensmittel musste die Stadt schon seit 1915 in einem heute kaum noch vorstellbaren Maß die Versorgung der Trierer sicherstellen. Sichtbarstes Zeichen der Mangelwirtschaft und der Rationierung waren die Lebensmittelmarken. Besonders viele Rentner, die Grundbesitz und Wertgegenstände schon verkauft hatten, mussten beim Fürsorgeamt um Hilfe bitten. Die Beschränkung endete zwar im Herbst 1923, aber danach mussten immer noch Höchstpreise festgesetzt werden.

Eine weitere „Großbaustelle“ der städtischen Sozialpolitik war die Wohnungsnot: Für Flüchtlinge aus Elsass-Lothringen entstanden unter anderem Notquartiere in den Schulen St. Barbara und Heiligkreuz. Das führte aber zu Unterrichtsausfällen. Außerdem litt Trier nach Einschätzung von Oberbürgermeister Bruchhausen wie keine andere Stadt unter der Einquartierung von Militärs. Im April 1920 waren rund 400 Häuser und 200 Wohnungen  belegt. Für eine erste Verbesserung sorgten 284 Notwohnungen in alten Gerbereigebäuden, in der Agnetenkaserne (Weberbach) und im Landarmenhaus am Augustinerhof.