Sprungmarken
19.06.2018

Mit Stift und Papier zum Meinungsbild

Museumspädogogin Dorothée Henschel begutachtet die neuen Zettel am schwarzen Brett der Karl-Marx-Ausstellung
Museumspädogogin Dorothée Henschel begutachtet die neuen Zettel, die die Besucher an der schwarzen Wand in der Karl-Marx-Ausstellung angebracht haben. Foto: Stadtmuseum Simeonstift
Im Stadtmuseum Simeonstift ist die Meinung der Besucher in der Marx-Ausstellung gefragt: Ganz analog, mit Zettel und Papier, entsteht dort bis 21. Oktober ein Stimmungsbild über Themen, die Menschen in der öffentlichen Berichterstattung behandelt sehen wollen. Das Angebot wird begeistert aufgenommen – und die Auswertung sorgt immer wieder für Überraschungen.

Es herrscht eine konzentrierte Ruhe im Ausstellungssaal des Stadtmuseums, der den Lebensjahren von Karl Marx in Köln gewidmet ist. Besucher schreiten die Gemälde an den Wänden ab, die eine Idee der Stadt im 19. Jahrhundert vermitteln: Der Weiterbau des Kölner Doms, die Unruhen nach der Revolution von 1848 und nicht zuletzt die Presselandschaft, in der ein junger Mann namens Karl Marx eine Blitzkarriere hinlegte. Eine Ausgabe der Rheinischen Zeitung mit Marx‘ Artikel über das Holzdiebstahlsgesetz liegt in einer Vitrine, von der gegenüberliegenden Wand blicken Porträts von König und Zar, die ebenfalls Gegenstand kritischer Artikel aus Marx‘ spitzer Feder waren.

Ergebnisse auf Twitter

Ein Angebot in diesem Ausstellungsraum, der viele Besucher zum Verweilen bewegt, ist eine schlichte schwarze Tafel, die mit „Zeitung/Newspaper" überschrieben ist. „Welche Themen müssten heute dringend in der Öffentlichkeit diskutiert werden?" wird darauf gefragt. Darunter liegen Klebezettel und Bleistifte bereit, mit denen Besucher ihre ganz persönliche Meinung beitragen können – eine interaktive Möglichkeit, von der rege Gebrauch gemacht wird. „Mittlerweile sind wir bei der fünften Ausgabe angelangt", berichtet Museumsmitarbeiterin Dorothée Henschel, verantwortlich für die Museumspädagogik der Ausstellung. Sobald die Tafel voll ist, werden die Zettel eingesammelt und dokumentiert. Die Ergebnisse veröffentlicht das Museum über den Twitter-Kanal @marxnews im Internet. Die Themen, die den Besucherinnen und Besuchern auf den Nägeln brennen, sind breit gefächert und können als Querschnitt aktueller gesellschaftlicher und politischer Debatten gelesen werden: Verteilungsgerechtigkeit, die Schere zwischen Arm und Reich, der Umgang mit Flüchtlingen und medienkritische Anmerkungen sind mit am häufigsten genannt. Aber auch konkrete Anliegen wie Maßnahmen gegen die Vermüllung der Weltmeere, die Beziehungen zwischen Europa und Russland oder die gleiche Entlohnung von Männern und Frauen tauchen immer wieder auf. „Als Museum verstehen wir uns natürlich auch als ein Ort öffentlicher Diskussionen, daher ist diese Interaktion mit unseren Besuchern für uns ein hochinteressantes Kommunikationsfeld", sagt Museumsdirektorin Dr. Elisabeth Dühr. Gerade in der Station Köln, die das Pressewesen des 19. Jahrhunderts, die Entstehung von publizistischer Öffentlichkeit und auch von Zensur thematisiert, sei diese Einbindung und Sichtbarmachung von Besuchermeinungen ein wertvoller Beitrag.

Keine technischen Hürden

Mit der ganz und gar analogen Besucherbeteiligung mittels Stift und Papier hat das Museum in den vergangenen Jahren bereits gute Erfahrungen gemacht: Zum Museumstag 2017 konnten die Besucher auf diesem Wege ihre Anregungen für zukünftige Ausstellungsthemen geben und im Rahmen der Ausstellung „Trierer Plätze" ihre Wünsche und Kritik zum Thema Stadtentwicklung äußern. Dorotheé Henschel erläutert: „Diese Art der Besucherbeteiligung mit Stift und Papier hat den großen Vorteil, dass sie sehr barrierearm ist. Ohne komplizierte Anmeldeverfahren oder technische Hürden kann unmittelbar kommuniziert werden, unsere digitalen Kanäle sorgen dann für eine entsprechende Sichtbarkeit."

Bei der Auswertung der Beiträge, die zum Ende der Marx-Ausstellung am 21. Oktober veröffentlicht werden, kommt es dabei auch immer wieder zu Überraschungen. Dühr: „Viele Besucher weisen in ihren Kommentaren auf die frappierenden Parallelen zwischen den Entwicklungen des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart hin und beziehen sich sehr differenziert auf die Analysen von Marx. Das ist eine Perspektive, über die wir uns freuen und die uns in unserer Ausstellungsarbeit bestärkt."