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16.10.2012

Immer noch unnötige Ängste

Regina Mertesdorf.
Regina Mertesdorf.
Mit dem vor 20 Jahren in Kraft getretenen Betreuungsgesetz ist die Entmündigung von Menschen, die wegen einer psychischen Krankheit oder Behinderung ihre Angelegenheiten nicht mehr regeln können, endgültig passé. Die Rathaus Zeitung (RaZ) zieht in einer Serie eine Reformbilanz mit Trierer Experten. Sie startet mit einem Interview mit Regina Mertesdorf, Leiterin der 1993 im Rathaus durch die Reform entstandenen Betreuungsbehörde.

RaZ: Wurde insgesamt gesehen die Situation der Betroffenen verbessert, ihre Rechte und die Selbstbestimmung gestärkt?

Mertesdorf: Eine persönliche Betreuung ersetzt  die anonyme Verwaltung der Fälle. Wohl und Wille der Betroffenen sind maßgeblich. Das ist die größte Errungenschaft. Vor 20 Jahren gab es neben der Aufbruchstimmung aber auch eine Reformunwilligkeit. Seit der Neuregelung ist eine Betreuung nur möglich, wenn keine anderen Hilfen zur Verfügung stehen. Es bedurfte eines Umdenkens und vieler Auseinandersetzungen, bis diese Prinzipien akzeptiert waren. Zudem rückte die Stärkung der ehrenamtlichen Betreuer ins Blickfeld. Die Förderung der Betreuungsvereine, die unter anderem Freiwillige suchen und fortbilden, wurde erst nach einem Rechtsstreit in der heutigen Form realisiert.

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?

Die Betreuungsbehörde war und ist gefragt, den Geist des Gesetzes von 1992 mit umzusetzen und ein kooperatives Netzwerk aller Akteure zugunsten der Betroffenen zu schaffen. Wir nehmen heute eine zentrale Steuerungs- und Koordinierungsfunktion im Trierer Betreuungswesen wahr, sind die Schaltstelle für den Einsatz haupt- und ehrenamtlicher Betreuer. Die Reformen nach 1992 zielten darauf ab, das Selbstbestimmungsrecht weiter zu stärken. Die Vorsorgevollmacht wurde verankert und die Patientenverfügung geregelt. Die Änderungen waren dem Vorwurf von Einsparungen ausgesetzt. Zudem wird der überholte Begriff Entmündigung immer noch verwendet und löst unnötige Ängste aus.

Wie sieht es in Trier aus?
Das Betreuungsrecht ist hier und heute gut aufgestellt, das Netzwerk funktioniert sehr gut. In Rheinland-Pfalz haben wir im bundesweiten Vergleich mit die beste Förderung der Querschnittsarbeit der Betreuungsvereine. Aktuell bin ich froh, dass wir eine Reduzierung freiheitsentziehender Maßnahmen, zum Beispiel durch Bettgitter in der stationären Pflege, erreichen konnten. Das Potenzial für Verbesserungen ist aber längst noch nicht ausgeschöpft. Derzeit werden weitere Reformvorschläge diskutiert.

Wie hat sich in einer alternden Gesellschaft die Zahl der zu Betreuenden entwickelt?

Vor 20 Jahren war nicht abzusehen, welche Ausmaße das annehmen würde. Damals gab es bundesweit 75.000 Erstbestellungen eines Betreuers und 12.500 Verlängerungen. Bis 2010 hat sich diese Zahl bei deutlich wachsenden Kosten auf 240.000 beziehungsweise 114.000 erhöht und wird weiter steigen. In Trier gab es 2011 rund 330 neue, überwiegend ehrenamtliche Betreuungen. In ganz Deutschland haben mittlerweile 1,3 Millionen Menschen einen rechtlichen Betreuer.

Stößt das System mittlerweile an seine Grenzen?

Ja, ähnlich wie in anderen Teilen der Sozialverwaltung. Um so wichtiger sind vorbeugende Schritte, wie die Vorsorgevollmacht, die eine Betreuung unter Umständen überflüssig machen. Dank dieser wachsenden Vorsorgekultur steigt die Nachfrage mittlerweile nicht mehr so stark wie am Beginn der Reform.

Sind angesichts dieser Entwicklung weitere Gesetzesreformen geplant?

Derzeit wird ein Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Funktionen der Betreuungsbehörden diskutiert, um diesem Anstieg weiter zu begegnen. Schon bislang wird eine Betreuung nur dann eingerichtet, wenn sie wirklich nötig ist und keine anderen Hilfen zur Verfügung stehen. Oft reicht es, die Versorgung mit Einbindung der Pflegestützpunkte zu verbessern oder es kommen Eingliederungshilfen, zum Beispiel persönliches Budget oder betreutes Wohnen, subsidiär vor der rechtlichen Betreuung zum Tragen.  

Gab es in Trier seit 1992 einen Betrug durch einen Betreuer?

Wir hatten vor vielen Jahren einen Fall mit einer minimalen Geldsumme, der geregelt werden konnte. Diese Gefahr kann man nie völlig ausschließen. Mich ärgert aber immer wieder die weitestgehend negative und einseitige Berichterstattung zu spektakulären Einzelfällen. Das führt zu völlig un-nötigen Verunsicherungen. Die Serie in der RaZ soll zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen.

Reichen die gesetzlichenn Sicherungen aus?

Die Betreuungsbehörde ist in die Verfahren und damit auch die Eignungsprüfung der haupt- und ehrenamtlichen Betreuer eingebunden. Sie leis-tet einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssicherung. Zudem erhalten die ehrenamtlichen Betreuer eine Unterstützung durch die Betreuungsvereine. Das Betreuungsgericht führt die Aufsicht, ist wichtigste Kontrollinstanz und Ansprechpartner bei einem Betrugsverdacht. Die Betreuer werden entlassen, wenn sich solche Vorwürfe bestätigen.

Das Gespräch führte Petra Lohse