Sprungmarken
27.07.2021

Ein Weg ins neue Leben

Diese Seite der Gutenbergbibel ist im  Besitz der Bibliothek verblieben. Es handelt sich um einen Auszug aus dem Buch Genesis, Kapitel 16, Vers 12, bis Kapitel 18, Vers 31 im Buch Mose.
Diese Seite der Gutenbergbibel ist im Besitz der Bibliothek verblieben. Es handelt sich um einen Auszug aus dem Buch Genesis, Kapitel 16, Vers 12, bis Kapitel 18, Vers 31 im Buch Mose.
Als weiteren Beitrag zum Jubiläumsjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ erzählt die Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier in einem Podcast das Schicksal einer Gutenberg-Bibel aus Trier, die die jüdische Unternehmerfamilie Wiernik 1936 erworben hatte. Bis 8. September ist im Foyer der Bibliothek an der Weberbach eine kleine Sonderausstellung zu diesem Thema zu sehen.

„Sehr geehrter Herr Direktor, ich kann Ihnen die überraschende und freudige Mitteilung machen, dass es mir gelungen ist, das Bruchstück der Gutenberg-Bibel zu verkaufen. Ich glaube, bereits morgen, spätestens übermorgen, die 60.000 Reichsmark, wie vorgeschrieben, an die Stadthauptkasse in Trier zahlen zu können.“ Dies schrieb der Leipziger Antiquar Anton Hiersemann am 23. Dezember 1931 an Gustav Kentenich, Direktor der Stadtbibliothek. Die Gelder waren dringend nötig, da, wie Kentenich argumentierte „die in den letzten Jahren immer schwieriger gewordene Lage der Bibliothek sich zu einer schwereren Krise auszuwachsen droht (…). Je länger dieser Zustand andauert, desto unübersichtlicher wird die 100.000 Bände umfassende Bücherwelt und gleichzeitig das Auffinden der verlagerten Bücher immer schwieriger.“

Um die Geschichte der Gutenberg-Bibel aus Trier erzählen zu können muss man zuerst erklären, wie eine solche Bibel aussieht. Sie besteht aus zwei Bänden: der erste enthält den ersten Teil des Alten Testaments, der zweite die Propheten des Alten Testaments und das Neue Testament. Jeder Band umfasst über 300 Blätter. Die inkomplette Ausgabe aus dem Bestand der Stadtbibliothek, die zum Verkauf angeboten wurde, hatte 63 Blätter des Alten und des Neuen Testaments. Aber 60.000 Mark waren für das Bauvorhaben viel zu wenig. Der Neubau sollte rund 400.000 Mark kosten, davon stellte die Stadt 180.000 Mark bereit. Kentenich versuchte weiterhin, nur den zweiten unvollständigen Band zu verkaufen.
Erst im Sommer 1936 änderte sich die Lage: Geoffrey Dudley Hobson, Direktor der Buchabteilung des Auktionshauses Sotheby’s, reiste gerade durch Europa und wollte auch nach Trier kommen. Am 12. August besuchte Hobson die Stadtbibliothek. Zwei Wochen später hatte er einen Käufer gefunden. Als die Bibel, später Trier II genannt, die Stadt im Spätsommer 1936 verlassen hatte, bedeutete dies zugleich das Ende der Ära der jüdischen Unternehmen in Deutschland.

Der Käufer, der Sotheby’s beauftragt hatte, war der Besitzer einer sehr erfolgreichen Chemikalienfabrik in Deutschland. Joachim Wiernik hatte 1898 eine Fabrik in Halle gegründet, die pharmazeutische und chemische Präparate produzierte. Nach seinem Tod im Jahr 1915 sorgten seine Söhne, der Chemiker Dr. Maximilian Wiernik und Nationalökonom Dr. Lucian Wiernik, für die weitere Entwicklung des Unternehmens, das inzwischen seinen Namen auf DIWAG geändert hatte. Anfang der 1930er Jahre war die Firma auf dem sicheren Weg zum internationalen Erfolg. Sie beschäftigte über 200 Mitarbeiter.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten änderte sich die Lage grundlegend: 1936 wurde die Firma arisiert. Die Brüder Wiernik suchten nach einer Möglichkeit, sie im Ausland weiterzuführen. Als hilfreich erwies sich ein Buch, das Maximilian Wiernik in Trier hatte kaufen lassen. Im Sommer 1937 hatte Sotheby‘s die Bibel als „property of a gentleman“ auktioniert. Nach dem Verkauf der Bibel gründete Maximilian Wiernik in Shrewsbury, England, die „Veritas Drug Company“, wo die auf DIWAG patentierten Medikamente produziert wurden. Seine beiden Kinder haben in England ein Medizinstudium abgeschlossen. Lucian Wiernik wanderte nach Frankreich aus, seine Familie hat den Krieg überlebt. Die Bibel Trier II ist wie keine andere Gutenberg-Bibel über die ganze Welt zerstreut. Das Jahr 1937, das für die Familie Wiernik den Einstieg in ein neues Leben bedeutete, war für die Gutenberg-Bibel aus der Stadtbibliothek das Ende ihrer Existenz als Buch.

Die Ausstellung „Die Gutenbergbibel Trier II – eine Exil-Geschichte“ in der Bibliothek an der Weberbach zeichnet die dramatische Geschichte einer Gutenberg-Bibel aus dem ursprünglichen Bestand der Stadtbibliothek Trier nach – von der Auffindung in Olewig durch Johann Wyttenbach im 19. Jahrhundert über die Zeit des Nationalsozialismus bis zum Rückkauf eines Blattes aus Metz im Jahr 1985.
Den Podcast gibt es unter: www.stadtbibliothek-weberbach.de

Dr. Magdelena Palica