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17.04.2018

Der Sitz des Philosophen

Peter Pfister, Kunsthistoriker der Friedrich-Ebert-Stiftung, präsentiert den Karl-Marx-Sessel
Peter Pfister, Kunsthistoriker der Friedrich-Ebert-Stiftung, zeigt die zahlreichen Gebrauchsspuren des Sessels, in dem Karl Marx in London gestorben sein soll.

Besucher des Karl-Marx-Hauses können sich mit der Neueröffnung der Dauerausstellung am 5. Mai auf ein ganz besonderes Exponat freuen: den Lese- und vermutlich auch Sterbesessel von Karl Marx.

Bei der Anlieferung des Sessels am Karl-Marx-Haus warten bereits zahlreiche Journalisten auf das neue Ausstellungsstück. Zwei Personen laden das mit einer Decke geschützte Möbel vorsichtig aus und tragen es über die Schwelle des Hauses. Im Gebäude wird es feierlich enthüllt und in der Folge wortwörtlich nur noch mit Samthandschuhen angefasst. Die Friedrich- Ebert-Stiftung (FES), die das Museum in Marx‘ Geburtshaus betreibt, hat – nimmt man das starke Medieninteresse als Maßstab – mit dem Ankauf einen echten Coup gelandet.

„2014 erwarb die Friedrich-Ebert- Stiftung den Sessel von der Familie Longuet-Marx", berichtet Dr. Ann- Katrin Thomm, Kuratorin der Dauerausstellung. Er sei bis dahin immer im Familienbesitz in Paris geblieben. Es sei sogar eine Tradition der Familie gewesen, ihre Kinder in dem Sessel fotografieren zu lassen. Auf die Frage, ob es nicht auch in Russland bereits einen Sterbesessel von Marx gebe, erwidert Elisabeth Neu, Leiterin des Karl-Marx-Hauses: „In Moskau existiert im Russischen Staatsarchiv für sozio-politische Geschichte (RGASPI) ein Nachbau von Marx‘ Arbeitszimmer. Dort wird auch ein solcher Sessel ausgestellt. Jetzt haben wir zwei Sterbesessel, gestorben ist Marx aber nur einmal. Die Nachfahren haben uns eidesstattlich versichert, dass das hier der in der Familie vererbte Sessel ist." Dafür, dass Marx auch im Sessel gestorben ist, spricht laut Elisabeth Neu ein Brief, den Friedrich Engels am 15. März 1883, einen Tag nach Marx‘ Tod, an Johann Philipp Becker in Genf schrieb. Dort teilt er mit: „Kaum hatten wir ihn zwei Minuten allein gelassen, fanden wir ihn sanft entschlafen im Sessel." Engels besuchte Marx in diesen Tagen oft, als es dem Denker zunehmend schlechter ging.

Der Sessel zeigt zahlreiche Gebrauchsspuren. Peter Pfister, Kunsthistoriker der FES, erläutert den Stilmix: „Der Holzrahmen ist dem Historizismus zuzuordnen, er ahmt verschiedene Elemente aus Rokoko und Barock nach." Die zerschlissene Bespannung im Jugendstil stammt aus der Zeit um 1910. An den vorderen Füßen sind Rollen aus Horn befestigt, mit deren Hilfe man den Sessel besser durch die Wohnung transportieren konnte. Hinten wurden erst nachträglich Rollen angebracht. Ein reparierter Riss im Holzbein oberhalb einer Rolle zeugt davon, dass Marx den Sessel vermutlich oft brüsk hin- und herbewegt hat. Er wird in der neuen Dauerausstellung in einem eigenen Raum präsentiert, zwischen den Bereichen zu Werk und Wirkung. Kuratorin Dr. Thomm erläutert seine Symbolik für die Ausstellung: „In ihm las er und starb er, aber seine Ideen leben weiter." bau