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16.04.2019

Ausgrenzung endlich überwinden

Behindertenbeauftragter Gerd Dahm.
Behindertenbeauftragter Gerd Dahm.
Mit einer eigenen Veranstaltung am 6. Mai im Kurfürstlichen Palais feiert der Behindertenbeirat den zehnten Geburtstag der UN-Behindertenrechtskonvention. Der Vorsitzende Gerd Dahm erläutert Hintergründe im Interview mit der Rathaus Zeitung (RaZ).

RaZ: Warum lädt der Behindertenbeirat zu einer Feierstunde ein?

Gerd Dahm: Nach zehn Jahren Rechtsgültigkeit der Konvention ist es an der Zeit, eine kleine Bilanz zu ziehen. Sie ist insgesamt ein großes, rechtsverbindliches Werk in Bezug auf die Gleichstellung von behinderten Menschen. Wir möchten uns gemeinsam mit unseren Gästen die Frage stellen, ob der in der UN-Behindertenrechtskonvention geforderte Umdenkungsprozess in Politik und Gesellschaft wirklich spürbar stattgefunden hat. Auch wenn in den vergangenen zehn Jahren vieles nicht erreicht und umgesetzt wurde, was die Konvention fordert, so ist der Jahrestag für uns doch ein Grund, in einer Feierstunde daran zu erinnern, dass sie nach wie vor rechtsverbindliche Gültigkeit in Deutschland hat.

Worin lag und liegt die besondere Bedeutung der UN-Behindertenrechtskonvention?

Sie verpflichtet die Staaten sich an einem inklusiven Gesellschaftsmodell zu orientieren. Das bedeutet, dass für die Teilhabe an der Gesellschaft nicht der behinderte Mensch „passend gemacht werden" muss, sondern dass die Menschen, die Gesetze, die Gerichte, die Wirtschaft und letztendlich jeder Einzelne verstehen muss, dass die besonderen Lebensbedingungen von behinderten Menschen ein normaler Bestandteil einer pluralistischen Gesellschaft sind. Deshalb müssen die Gesellschaft und die Lebenswelt „passend gemacht werden". Inklusion ist keine andere oder bessere Form der Inte-
gration, sie ist das Gegenteil. Integration setzt immer Selektion voraus. Erst wenn Menschen nicht mehr behindert und ausgegrenzt werden, sprechen wir von einer inklusiven Gesellschaft. Inklusion im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention grenzt gar nicht erst aus, eine Integration ist dann hinfällig.

Ist es in den letzten zehn Jahren gelungen, die Sensibilität der Gesellschaft für die Lage von Menschen mit Behinderung zu erhöhen?

Diese Frage stellen wir unseren Gästen Ich bin gespannt auf die Antworten. Wir haben Gäste aus der Politik, der Wirtschaft, dem Wohnungsbau und der Kultur. Sie werden aus ihrer Sicht die Fortschritte benennen und sicher auch das eine oder andere Defizit. Wir werden als Beirat kritisch nachfragen. Die Besucher können sich auch beteiligen. Die Bilanz wird durchwachsen sein. Es gibt sicher keinen Grund, das Fest zu einer Jubelveranstaltung ausufern zu lassen. Aber die Bilanz wird auch nicht nur negativ sein. Wir neigen dazu, Defizite viel stärker wahrzunehmen als Verbesserungen, an die wir uns oft allzu schnell gewöhnen.

Warum präsentieren bei der Feierstunde die Fachschule für Heilerziehungspflege und der Integrierten Gesamtschule eigene Projekte?

Wir fanden es wichtig, dass auch Schüler, Schülerinnen und Auszubildende sich mit der Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft beschäftigen und Ergebnisse präsentieren können.

Das Gespräch führte Petra Lohse