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03.07.2012

Ausdruck der Geschichte

Der „Vertriebenen-Brunnen“ am Künstlereingang des Theaters erhält keinen neuen Namen. Ein Schild soll über den historischen Hintergrund des Mahnmals informieren.
Der „Vertriebenen-Brunnen“ am Künstlereingang des Theaters erhält keinen neuen Namen. Ein Schild soll über den historischen Hintergrund des Mahnmals informieren.
Ein gemeinsamer Antrag von SPD und Grünen, den am Augustinerhof zwischen dem Künstlereingang des Theaters und dem seitlichen Zutritt zum Großen Rathaussaal gelegenen Brunnen einen neuen Namen zu geben, fand nach ausgiebiger und teilweise emotional geführter Diskussion nicht die Mehrheit des Stadtrates. Das Bürgergremium sprach sich vielmehr mit den Stimmen von CDU (16), FWG (6) und FDP (4) auf Antrag von CDU-Fraktionschef Dr. Ulrich Dempfle für die Beibehaltung der Bezeichnung „Vertriebenenbrunnen“ aus.

Gleichzeitig soll ein Schild aufgestellt werden, das über die Ursprünge und Geschichte des Brunnens in sich wandelnder Zeit informiert. Der Text war bereits unabhängig von der rot-grünen Initiative einvernehmlich unter Federführung des Baudezernats erarbeitet worden und blieb auch während der Umbenennungsdebatte unstrittig. Dem eigentlichen Antrag auf Namensaktualisierung schlossen sich neben der SPD (10) und den Grünen (9) nur noch die beiden Vertreterinnen der Linken an. Oberbürgermeister Klaus Jensen enthielt sich für den Stadtvorstand der Stimme.

Die Auseinandersetzung vor der Abstimmung war geprägt von der grundsätzlichen Frage, ob der Name eines Mahnmals zur Erinnerung an eine geschichtlich abgeschlossene Epoche als historisches Dokument beibehalten oder im Geiste der Errungenschaften einer neuen politischen Entwicklung geändert werden soll.
Den meisten Trierern dürfte der Name des Brunnens gar nicht bekannt sein. Wahrscheinlich wird er wegen seines Standortes am häufigsten noch „Theaterbrunnen“ genannt. Doch die Inschrift der kleinen Tafel an einem der vier quadratischen Becken mit der massiven Bronzeplastik in der Mitte, die ein zerbrochenes und mit Narben versehenes Herz darstellen soll, lässt die Hintergründe erahnen, die mit einem dramatischen Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte zusammenhängen: „Einigkeit und Recht und Freiheit – Breslau Gleiwitz Stettin Königsberg Eger Marienburg.“

Mahnmal von Hans Karl Schmidt

Als nur inoffiziell titulierter „Vertriebenen-Gedenk-Brunnen“, wegen der Grundsteinlegung am „Tag der Heimat“ im September 1965 zuweilen auch als „Heimatbrunnen“ bezeichnet, sollte das auf Beschluss des Stadtrates 20 Jahre nach Kriegsende vom Trierer Bildhauer Hans Karl Schmidt geschaffene Mahnmal an das Schicksal der früheren deutschen Ostgebiete und die knapp 10.000 Vertriebenen erinnern, die nach dem Zusammenbruch der Nazi-Barbarei als Flüchtlinge in Trier ein neues Zuhause fanden.

„Das zu schaffende Kunstwerk soll ein Mahnmal, kein Denkmal für Vergangenes sein. Es soll die Menschen im freien Westen eindringlich mahnen, das von Rumpf-Deutschland durch das Alliierten-Abkommen von Potsdam im Jahre 1945 fremden Verwaltungen unterstellte Mittel- und Ostdeutschland und die seitdem in Unfreiheit lebenden Brüder und Schwestern nicht zu vergessen“, lautete die vom Rat 1965 formulierte Aufgabenstellung. Das zu schaffende Kunstwerk solle dazu beitragen, auch nach der Katastrophe von 1945 nicht zu resignieren und „den Glauben an die Wiedervereinigung aller Teile des getrennten Deutschland“ zu beleben und zu stärken.

Zweimal wurden die mit Spitzen und Stacheln versehenen Stäbe und Drähte, die symbolhaft das aufgerissene Herz der Brunnen-Plastik umrankten, wegen ihres nicht unbeträchtlichen Materialwerts gestohlen. Ab 1981 beließ man den reparaturanfälligen, immer wieder einmal pausierenden Wasserspeier in seiner jetzigen Form, auch um Verletzungsgefahren von Kindern vorzubeugen, die das Denkmal allzu gerne für ihre Kletterkünste nutzen.

Vom Lauf der Geschichte

47 Jahre nach dem damaligen Stadtratsbeschluss begründeten SPD und Grüne ihre jetzige gemeinsame Ini-tiative, einen neuen Namen für den „Vertriebenenbrunnen“ zu finden, mit den zwischenzeitlich erfolgten politischen Veränderungen. So hätten die Ostpolitik Willy Brandts und die Ereignisse nach dem Fall der Mauer zu einer Klärung der Grenzsituation beigetragen. Eine Umbenennung des früheren Mahnmals, an der sich die Bürgerschaft und Geschichtsexperten der Universität beteiligten sollen, werde der Errungenschaft und Verpflichtung gerecht, ohne gegenseitige territoriale Ansprüche ausgesöhnt und friedlich in einem vereinten Europa leben zu können.
 
Der Antrag spricht sich auch für ein am Brunnen anzubringendes Schild aus, das über die Geschichte dieses Denkmals „einschließlich der Gründe für die Umbenennung informiert“ und nennt den 8. Mai kommenden Jahres, den offiziellen Gedenktag der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands, als möglichen Termin der „feierlichen Umwidmung“.

Stimmen der Fraktionen

„Der Brunnen ist ein Stück deutscher und auch der Trierer Geschichte, doch die politische Sichtweise ist eine andere als im Jahre 1965“, untermauerte Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen) im Stadtrat die Notwendigkeit für einen neuen Namen. Jutta Föhr (SPD), die stellvertretend für den erkrankten Markus Nöhl sprach, verwies auf die durchaus beizubehaltende Erinnerung der „politischen Botschaft, die der Brunnen in die heutige Zeit überführt“. Doch müsse die Stadt mit einer Umbenennung nach der grundlegenden Neubestimmung der politischen Lage in einem Europa der Versöhnung und des Miteinanders jetzt auch ein „neues politisches Zeichen“ setzen.

Man bekenne sich „uneingeschränkt zu den Grundsätzen der friedlichen Koexistenz und den neuen geschichtlichen Fakten“, doch könne man „Geschichte auch nicht einfach rückgängig“ machen, erläuterte CDU-Sprecher Thomas Albrecht die Ablehnung seiner Fraktion zur Umbenennung. Der Brunnen bleibe „Ausdruck der Geschichte und ein Zeugnis seiner Entstehungszeit“. Albrecht zeigte sich betroffen darüber, wie mit den Gefühlen der noch lebenden Vertriebenen umgegangen werde.

Er halte nichts davon, die „Dinge auszuradieren oder zu erschlagen“, sagte Peter Spang (FWG) und verwahrte sich dagegen, von einem „Revanchistenbrunnen“ zu sprechen. Der Brunnen sei ein „Dokument vergangener Zeit“, die Vertriebenen hätten für die NS-Verbrechen einen „hohen Preis“ gezahlt.

FDP-Fraktionsvorsitzender Dr. Karl-Josef Gilles stellte die Frage nach den Maßstäben. Er verwies auf „viele Gelegenheiten, Dinge umzubenennen, die nicht mehr zeitgemäß sind“, so unter anderem womöglich auch den Balduinsbrunnen. „Wir müssen uns unserer Vergangenheit stellen, mit allen positiven und negativen Konsequenzen. Der Heimatbrunnen ist Teil unserer jüngsten Geschiche“, so Gilles. Der Freidemokrat erinnerte auch an das Schicksal der Vertriebenen, die mit die „Hauptlast der Nazi-Gräuel“ zu tragen gehabt hätten.

Vor der Abstimmung unterstrich OB Jensen, dass niemand die Geschichte ausradieren wolle. Dies werde auch in dem Textvorschlag klar zum Ausdruck gebracht. Es sei neben den berechtigten Anliegen der Vertriebenen auch unzweifelhaft, dass es „neue Befindlichkeiten“ gebe.