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29.06.2021

30 Prozent mehr Notrufe

Frauenbeauftragte Angelika Winter.
Frauenbeauftragte Angelika Winter.

Der Tätigkeitsbericht der städtischen Frauenbeauftragte Angelika Winter für das stark durch Corona geprägte Jahr 2020 wurde letzten Dienstag im Steuerungsausschuss diskutiert. Im Interview mit der Rathaus Zeitung (RaZ) geht sie auf einige Schwerpunkte ein.

RaZ: Wie stark sind Frauen von den Folgen der Pandemie betroffen?

Winter: Das letzte Jahr war trotz der Beschränkungen durch die Pandemie aufwändig und arbeitsintensiv. Das hängt vor allem damit zusammen, dass das Thema Gewalt gegen Frauen deutlich in den Vordergrund rückte. Beim Frauennotruf und der Interventionsstelle stieg die Zahl der Beratungen um 22 Prozent, die Gesamtzahl der Notrufe um etwa 30 Prozent. 98 Frauen mussten aufgrund der vollen Belegung des Trierer Frauenhauses abgewiesen werden. Wichtig ist aber auch noch eine andere Zahl: 51 Prozent aller sozialversicherungspflichtig tätigen Frauen arbeiten in Teilzeit. Bei den Männern sind es nur 10,5 Prozent. Wegen der hohen Teilzeit- und Minijob-Anteile waren es nun in der Corona-Zeit viele Frauen, die zugunsten der Familie beruflich zurückgesteckt haben.

Was sind die Gründe für diese oft ungünstige Entwicklung aus Sicht der Frauen?

Resultierend aus der hohen Teilzeitbeschäftigung seitens der Frauen fanden sich diese im letzten Jahr schnell in der Rolle der Vollzeitmutter wieder, im Spagat zwischen Kinderbetreuung, Home Schooling und dem eigenen Anspruch, die eigene entgeltliche Arbeit im Home Office zu leisten. Ich glaube, dass diese Belastung in der Mehrheit der Familien nicht auf den Schultern beider Elternteile partnerschaftlich verteilt war. Abgesehen von den Alleinerziehenden, zumeist weiblich, für die der Alltag, Job und Familie unter einen Hut zu bekommen schon ohne Pandemie eine alltägliche Herausforderung darstellt. Für beide Elternteile, Mütter und Väter, wünsche ich mir, dass die Erwerbsarbeit und die Sorgearbeit zukünftig gerechter und partnerschaftlicher verteilt wird.

Warum werden gerade immer wieder Frauen Opfer häuslicher Gewalt? Hängt das auch mit einer wirtschaftlichen Abhängigkeit zusammen?

Das hat etwas mit dem Rollenverständnis zu tun, der eigenen Erziehung, aber auch mit wirtschaftlicher Abhängigkeit. Die Frage ist auch, wie man mit Konflikten umgeht. Bei manchen gewalttätigen Männern passieren Übergriffe nicht vorsätzlich, sondern sind eine Folge von Stress und Überforderung. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Frauen war früher noch viel stärker, der Anteil der Erwerbstätigen unter ihnen ist gottseidank in den letzten 20 Jahren deutlich gestiegen. Leider ist es aber immer noch so, dass viele Frauen heute wirtschaftlich nicht unabhängig sind, wenn sie Mütter sind. Über die Hälfte der Frauen in sozialversicherungspflichtigen Jobs hat ein Gehalt, von dem sie eigentlich gar nicht leben können.

Welche gesellschaftspolitischen Forderungen ergeben sich daraus?

Diese ganzen Probleme, die wir schon seit vielen Jahren benennen, sind in der Pandemie noch deutlicher geworden. Es muss immer wieder um die Auflösung gesellschaftlicher Zuschreibungen gehen, also zum Beispiel dass es vor allem Frauen sind, die die Sorgearbeit übernehmen müssen. Außerdem ist +mir in der Pandemie aufgefallen, dass es in der medialen Darstellung vor allem Männer waren, die als Experten zu Wort kommen und die Entscheider sind. Hier muss die Perspektive der Frauen deutlich stärker Gehör finden.

Mit welchen Angeboten konnten Sie, auch in Kooperation mit Partnern, 2020 kurzfristig auf die Pandemie reagieren?

Mir ist aufgefallen, dass viele Frauen auf die Digitalisierung eher zurückhaltend reagieren, Berührungsängste hatten und sich zum Beispiel bei Videokonferenzen wenig zutrauen. Hier habe ich sehr schnell reagiert und zusammen mit einer Trainerin eine Schulung für Frauen im Homeoffice angeboten. Das wurde gut angenommen und die Frauen waren froh über diese Unterstützung in der Zeit einer Doppel- oder sogar Dreifachbelastung. Viele von ihnen waren wirklich am Rande des Nervenzusammenbruchs. In der Schulung mit zehn Teilnehmerinnen ging es nicht nur um technische Fragen, sondern zum Beispiel auch um psychische Aspekte der Krise. Das war ein sehr spannendes Konzept.

Der Stadtrat hat einen konkreten Beschluss zur Umsetzung der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen getroffen. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

Der Grundsatzbeschluss fiel 2018. Dann gab es 2020 zur Umsetzung unter anderem eine große Anhörung der zuständigen Ausschüsse des Stadtrats mit vielen Expertinnen und Experten. Es war gut, dass sich das Jugendamt um die Stärkung der personellen Ressourcen gekümmert hat. Nur so kann man ermitteln, wie es mit vorhandenen Hilfsstrukturen aussieht und wo es Lücken gibt. Bei der Istanbul-Konvention wird eine breite Beteiligung erwartet. Das hat bei uns sehr gut funktioniert. Das wird in ganz Deutschland so gesehen. Da schaut man auch mal wieder nach Rheinland-Pfalz und nach Trier. Wir waren früh dran an dem Thema. Das Ganze ist auf jeden Fall ein Meilenstein.

Kürzlich gab es einen Ratsbeschluss zum künftigen Standort der Straßenprostitution. Welche Vorarbeit wurde dafür 2020 geleistet?

Da möchte ich vor allem die sehr gute Zusammenarbeit mit dem Ordnungsamt nennen. Zudem gibt es einen Runden Tisch mit externen Partnern, der schon seit acht Jahren besteht. Das ist wirklich eine gewachsene Zusammenarbeit. Wichtig war auch, dass der frühere Ordnungsdezernent Thomas Schmitt mich frühzeitig eingebunden hat. Wir haben unter anderem die in Frage kommenden Standorte sehr genau geprüft. Nur aufgrund dieser breiten Beteiligung war dieses Ergebnis möglich. Ich habe im Dezernatsausschuss deutlich gemacht, dass ich eigentlich gegen Straßenprostitution bin, weil das zu gefährlich ist. Aber wir müssen es nun mal erlauben und sollten daher mit Blick auf die Arbeitsbedingungen der Frauen das Beste draus machen. Insgesamt bin ich sehr froh, dass der Stadtrat jetzt diesen Beschluss zur Straßenprostitution gefasst hat.

Welche weiteren wichtigen Projekte waren 2020 noch wichtig?

Es gab vom Bundesfrauen- und -familienministerium die große Kampagne „Stärker als Gewalt". Daran konnten sich Kommunen beteiligen. Ich habe gesehen, wie wichtig das Thema gerade im ersten Lockdown wurde. Es konnten ja zum Beispiel überhaupt keine Beratungsstellen aufgesucht werden. Diese Isolierung führte dazu, dass jeder nur für sich durchgehalten hat. Erst nach dem ersten Lockdown konnten sich Frauen nach häuslichen Gewalteskalationen Hilfe suchen. Daher war die Kampagne aus Berlin gut, weil es vor allem gezielte Infos in Supermärkten und Apotheken gab, die im Lockdown geöffnet blieben. Positiv war für mich in der Pandemie, dass durch die große mediale Präsenz des Themas Gewalt gegen Frauen das Problembewusstsein geschärft wurde. In Trier führte das auch dazu, dass die Planungen für den Ausbau des Frauenhauses intensiviert wurden.

Das Gespräch führte Petra Lohse