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29.11.2016

Prägender Praktiker der Sozialpolitik

Franz Müntefering.
Franz Müntefering.
Als Auszeichnung für sein Lebenswerk erhält der frühere SPD-Bundesminister, Vizekanzler und ausgewiesene Sozialexperte Franz Müntefering (76) den mit 10.000 Euro dotierten Oswald von Nell-Breuning-Preis der Stadt Trier 2017.

Die Jury begründete ihr einstimmiges Votum mit dem herausragenden sozialpolitischen Engagement Münteferings, das in seiner inhaltlichen Ausprägung und seiner zeitlichen Fortschreibung den Maximen der von Pater Oswald von Nell-Breuning maßgeblich beeinflussten Katholischen Soziallehre mit den Grundpfeilern der Gerechtigkeit, Solidarität und Subsidiarität entspreche. Müntefering habe in führenden politischen Ämtern über Jahrzehnte mit seinem ausgeprägten sozialen Bewusstsein stets handlungsorientiert herausragende sozialpolitische Akzente gesetzt, sagte Oberbürgermeister Wolfram Leibe, der die Entscheidung als Vorsitzender des Preisgerichts bekanntgab.

Als ausgewiesener Sozial-, Arbeitsmarkt- und Rentenexperte hat der Realpolitiker Müntefering, so die Jury, immer wieder Antworten auf drängende, oft schwierige Fragen seiner Zeit gegeben, so beim sozialen Wohnungsbau, bei seinem Einsatz, Perspektiven für Langzeitarbeitslose zu schaffen, bei den Gesetzen zur Arbeitsmarktstabilisierung, zur Sozialversicherung oder mit der Reform-„Agenda 2010“.

„Franz Müntefering steht nicht so sehr für theoretische Höhenflüge, sondern ist an der Umsetzung von Politik interessiert. Auch mit dieser Mentalität steht er Nell-Breuning nahe, der immer den Praxisbezug suchte und sich in die Tagespolitik einmischte“, betonte Leibe. In einem Telefonat zeigte sich Müntefering über die Zuerkennung des Preises sehr erfreut und sagte sein Kommen zur öffentlichen Preisverleihung zu. Müntefering erinnerte sich an persönliche Begegnungen mit Pater Nell-Breuning, den er sehr schätze, im Bonner Bundestag und in Sundern. Die Preisübergabe ist für März 2017 in der Promotionsaula des Bischöflichen Priesterseminars geplant.

1940 in Neheim-Hüsten (Sauerland) geboren, trat Müntefering 1966 in die SPD ein. 1975 wurde der gelernte Industriekaufmann erstmals in den Bundestag gewählt, dem er mit einer Unterbrechung bis 2013 angehörte. Er war Verkehrsminister in der Regierung Schröder sowie von 2005 bis 2007 Sozialminister und Vizekanzler in der ersten Großen Koalition unter Angela Merkel. In der SPD bekleidete Müntefering vom Generalsekretär über den Vorsitz der Bundestagsfraktion bis zum zweimaligen Parteivorsitz sämtliche Spitzenposten. Heute ist er ehrenamtlicher Vorsitzender des Arbeitersamariterbundes.

„Heuschrecken“-Debatte

Gegen die Auswüchse einer neoliberalen Wirtschaftspolitik mit einer international zunehmenden Macht des Kapitals bezog Müntefering immer wieder Position. Er kritisierte überzogene Managergehälter im Bankensektor und beklagte die fehlende Unternehmensethik vieler Firmen. 2005 löste er mit seiner Darstellung, anonyme Finanzinvestoren würden teilweise wie „Heuschreckenschwärme“ über Unternehmen herfallen, eine breite Debatte aus.

In jüngerer Zeit hat sich Müntefering für einen „Wandel in Sicherheit“ und eine „Neue Solidarität im 21. Jahrhundert“ ausgesprochen. Von ihm aufgeworfene aktuelle Themen, die bei einer Fortschreibung der Katholischen Soziallehre auch im Geiste Nell-Breunings stehen, sind die Mindestlohndebatte und die Pflegereform. Die Jury war auch beeindruckt von der „lebensethischen Perspektive“, die Müntefering in der Diskussion um die Sterbehilfe bezog, nicht zuletzt aufgrund der persönlichen Erfahrung bei der Pflege seiner todkranken Frau.

Der Oswald von Nell-Breuning Preis, der die Verbundenheit der Stadt Trier mit ihrem großen Sohn und früheren Ehrenbürger dokumentiert, wird 2017 zum achten Mal vergeben. Bisherige Preisträger waren Dr. Paul Kirchhof (2003), Helmut Schmidt (2005), das päpstliche Hilfswerk „Cor Unum“ (2007), die Brüder Dr. Hans-Jochen und Dr. Bernhard Vogel (2009), Dr. Norbert Blüm (2011), der Verein „TransFair“ (2013) sowie Dr. Heiner Geißler (2015).