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02.06.2017 | Inklusion

Blinden-Kits im Stadtmuseum

Museumsbesucherin Sabrina Knopp vergegenwärtigt sich anhand des 3D-Modells mit Baukastenelementen die Architektur der Porta Nigra im Mittelalter.
Museumsbesucherin Sabrina Knopp vergegenwärtigt sich anhand des 3D-Modells mit Baukastenelementen die Architektur der Porta Nigra im Mittelalter.
Blind ins Museum? Bislang laden Ausstellungen kaum dazu ein: „Nicht berühren“-Schilder und Exponate in Glasvitrinen stellen große Hürden für Sehgeschädigte dar. In Zusammenarbeit mit dem Fach Intermedia Design an der Hochschule Trier wurde im Stadtmuseum Simeonstift jetzt ein Pilotprojekt für barrierefreie Museumserfahrung realisiert, das sehgeschädigten und blinden Besuchern auf vielfältige Weise einen Eindruck der Exponate vermittelt.

Überlebensgroß und gebieterisch lächelt Clemens Wenzeslaus von Sachsen von seinem Gemälde herab. Der letzte Kurfürst von Trier war bei seinen Untertanen alles andere als beliebt. Die visuelle Sprache, mit der er sich in seinem Staatsporträt inszenieren ließ, lässt an seinem Selbstverständnis keinen Zweifel: Ein riesiges, mit Juwelen besetztes Kreuz prangt als Zeichen seiner Macht auf seiner Brust. Der samtige Glanz seines purpurnen Mantels spiegelt seinen Reichtum wider. Die aufrechte Haltung und der visionäre Blick weisen den Bildbetrachter in seine Schranken. Das Gemälde ist nicht nur ein Meisterwerk an künstlerischer Raffinesse, sondern auch ein politisches Statement. Museumsbesucher Karl Kohlhaas bleiben alle diese Sinnschichten verborgen. Er sieht sie nicht. Er hat sein Augenlicht als junger Mann durch eine Krankheit verloren.

Für das Stadtmuseum Simeonstift Trier hat sich ein Seminar des Fachbereichs Intermedia Design der Hochschule Trier dieses Problems angenommen und Strategien der Inklusion entwickelt, die Blinden und Sehbehinderten die Teilhabe am visuellen Kulturleben ermöglichen. Die Konzeption entstand gemeinsam mit den Studierenden im Seminar Crossmedia unter der Leitung von Christopher Ledwig.

In jedem der drei großen Räume der Dauerausstellung wird ein Wagen mit  Tastreliefs, Audiodateien, Modellen und Repliken ausgewählter Exponate bereitgestellt. Außerdem gibt es ein 3D-Modell der Porta Nigra, wobei mit beweglichen Teilen der Bauzustand des römischen Stadttors im Mittelalter rekonstruiert werden kann.

Mit dem Blinden-Kit wird sehbehinderten Menschen ein selbständiger Museumsbesuch ermöglicht. Beispiel Wenzeslaus: In einer Schublade des Wagens ist eine Mappe enthalten, mit deren Hilfe sich der Benutzer die Dimension und Symbolik des Gemäldes durch Tasten erschließen kann. Museumsmitarbeiterin Dorothée Henschel berichtete über erste Erfahrungen: „Wir haben begeisterte Rückmeldungen von sehbehinderten Besuchern erhalten. Das Angebot ist aber auch für andere Museumsgäste interessant, besonders das Porta-Modell.“

Bereits die Projektvorstellung im Jahr 2015 war auf ein bundesweites Medieninteresse und große Resonanz der Blinden- und Sehbehinderten-Verbände gestoßen. „In seiner crossmedialen Herangehensweise ist dieses Projekt bundesweit einzigartig“, betonte Ledwig. „Wir bieten schon seit Längerem Führungen für Blinde an, jetzt können sie unser Museum auch selbständig besuchen. Das ist qualitativ nochmal ein großer Sprung auf dem Weg zur angestrebten Teilhabe für alle Bevölkerungsgruppen“, erklärte Museumsleiterin Elisabeth Dühr. „Das ist ein besonders gelungenes Beispiel für die Anwendung von Wissenschaft im Alltag“, freute sich Hochschulpräsident Norbert Kuhn über die gelungene Kooperation. Gefördert wurde das Projekt von der Kulturstiftung Rheinland-Pfalz und der Europäischen Investitionsbank. Die Angebote stehen den Besuchern kostenfrei zur Verfügung.

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