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01.01.2017 | Lesung in der Tufa

Ein Weltkrieg wird besichtigt

Porträt Karl Kraus
Karl Kraus (1874-1936)

10.000 Granaten in der Stunde, 6.000 getötete Soldaten täglich, 50 Tonnen Stahlsplitter pro Hektar des Schlachtfeldes - das ist die grausame Bilanz der Schlacht um Verdun zwischen Februar und Dezember 1916. Der Erste Weltkrieg katapultierte die europäische Gesellschaft mit Gewalt in die Moderne. Nichts ist seitdem mehr wie es war. Nachwirkungen sind über alle historischen Epochen hinweg bis heute zu spüren.

Es ist das Verdienst des österreichischen Schriftstellers Karl Kraus, in seiner Schrift "Die letzten Tage der Menschheit" nicht nur die Verrohung bei den Militärtruppen aufgewiesen zu haben, sondern vor allem auch die seelische und moralische Deformierung an der sogenannten „Heimat-Front“. „Wenn der Friede kommt, wird der Krieg beginnen" - unter diesem Titel lesen Katharina Bihler, Jörg W. Gronius, Armin Schmitt und Stefan Schön am Donnerstag, 5. Januar, im Kleinen Saal der Tufa Auszüge aus dem Werk. Beginn ist um 20 Uhr.

Die Pervertierung von Material und Menschen („Der Mann hat seine fünfzig Schuss zu machen, nachher kann er hin sein!“), die Gier nach Berichten und Bildern („Haben Sie schon einmal Venedig bombardiert?“), idiotische Ordnungsrichtlinien („Trägt der Soldat etwas in der rechten Hand, so salutiert er mit der linken, hat er in beiden Händen etwas, so leistet er die Ehrenbezeigung durch eine stramme Kopfwendung!“), eingebettete Kriegsberichterstattung („Schritt für Schritt bin ich jetzt die Front am Isonzo längs. Alles haben sie mir gezeigt! Also was ich da erlebt hab!“), die sarkastische Tourismusplanung zukünftiger Reisen zu den Schlachtfeldern („… die Gräber der Gefallenen erscheinen wie geschaffen, die Hebung des Fremdenverkehrs erhoffen zu lassen.“), Medizinalzynismus („Was ein patriotischer Arzt ist, hat ein Frontlieferant zu sein! Der Oberarzt beklagt sich, dass Sie den medizinischen Standpunkt hervorkehren!“) bis hin zum „Endsieg“-Gefasel – das alles macht „Die letzten Tage der Menschheit“ zu einem aktuellen Monument. Die Collage von Bihler, Gronius, Schmitt und Schön bringt dies auf den Punkt.

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