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11.09.2012

Im Gedächtnis der Stadt verankert

Gedenkstätte für die von Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma aus Trier eingeweiht

Künstler Clas Steinmann, OB?Klaus Jensen, Jacques Delfeld, Vorsitzender des Landesverbands der Sinti und Roma, und Ministerpräsident Kurt Beck (v. l.) vor der Stelenreihe auf dem Bischof-Stein-Platz.
Künstler Clas Steinmann, OB?Klaus Jensen, Jacques Delfeld, Vorsitzender des Landesverbands der Sinti und Roma, und Ministerpräsident Kurt Beck (v. l.) vor der Stelenreihe auf dem Bischof-Stein-Platz.
Mit einer Stelenreihe auf dem Bischof-Stein-Platz gedenkt die Stadt Trier den im Zweiten Weltkrieg verschleppten und von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma. „Nie wieder – das ist für uns nicht nur ein Wort, sondern ein tiefes Anliegen“, sagte Ministerpräsident Kurt Beck am Montag bei der Einweihung des von dem Trierer Künstler Clas Steinmann gestalteten Mahnmals.

Europaweit fielen schätzungsweise 500.000 Sinti und Roma dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer. Trierer Sinti wurden über ein Sammellager in Köln in die Ghettos und Konzentrationslager im Osten deportiert. Ihre genaue Zahl ist nicht bekannt, jedoch gibt es Erkenntnisse über das Schicksal Einzelner: So sind im „Gedenkbuch für die Sinti und Roma im KZ Auschwitz-Birkenau“ zwölf Personen mit dem Geburtsort Trier verzeichnet.

Im KZ geboren

Welches Schicksal diese Menschen durchlitten, erfuhren die Besucher der Einweihungsfeier von einem Zeitzeugen: Christian Pfeil wurde  im Januar 1944 im KZ Majdanek (Lublin) geboren. Im Mai 1940 war seine Familie, die seit Jahrhunderten in Deutschland gelebt hatte, unvermittelt verhaftet und über Köln in das von den Deutschen besetzte Polen verschleppt worden. Ihre Ausweispapiere und damit die deutsche Staatsbürgerschaft wurden ihnen entzogen und durch eine Kennkarte mit einem groß eingestempelten Z für Zigeuner ersetzt.

Von vier älteren Geschwistern Pfeils ist bekannt, dass sie im August 1943 im KZ Auschwitz-Birkenau eintrafen und dort später auf grausame Weise umgebracht wurden. Das Schicksal der meisten anderen Familienangehörigen liegt im Dunkeln.

„Die Todesangst kann man als Holocaust-Überlebender nicht abstreifen. Sie ist Teil unseres Lebens“, sagte Christian Pfeil, der als Gastronom in Trier am eigenen Leib erfahren musste, dass rechtsradikale Gewalt noch immer zur Wirklichkeit in Deutschland zählt: In den 1990er Jahren wurde sein Restaurant zweimal von unbekannten Tätern verwüstet und mit Nazi-Symbolen beschmiert. Er entschied sich, trotzdem in Trier zu bleiben: „Diese Stadt ist meine Heimat.“

Für Oberbürgermeister Klaus Jensen war die Errichtung der Gedenkstätte ein wichtiges Anliegen. „Viel zu lange war der grauenhafte Völkermord an den Sinti und Roma im öffentlichen Diskurs unserer Gesellschaft weitgehend ausgeblendet. Es ist aber unsere Pflicht, das Bewusstsein an die Gräueltaten wach zuhalten und um Vergebung zu bitten, wo eine Wiedergutmachung nicht mehr zu leisten ist“, erklärte Jensen. Mit dem Mahnmal seien die Namen der Opfer auf immer der Vergessenheit entrissen und in das Gedächtnis der Stadt eingegraben.

QR-Codes an den Stelen

Das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma aus Trier besteht aus sechs drei Meter hohen Stelen, für die Clas Steinmann Bronzeblech verschweißt und grün patiniert hat. Drei der Säulen enthalten moderne Informationstechnik: Die eingravierten QR-Codes können mit einem Smartphone gescannt werden, um via Internet weitergehende Informationen zur Geschichte, Sprache und Kultur der Sinti und Roma in Deutschland und insbesondere über die NS-Verbrechen an den Familien aus Trier abzurufen.

„Es ist kaum vorstellbar, dass Menschen aus unserer Mitte so schreckliche Taten widerfahren sind“, sagte Ministerpräsident Beck. Erinnerung sei daher ebenso unverzichtbar wie eine klare Haltung gegen aktuelle rechtsextreme Aufmärsche und Gewalt.

Die Finanzierung der Stelenreihe erfolgte zum Teil aus Spenden der Trierer Bürgerschaft. Außerdem beteiligten sich die Kulturstiftung der Sparkasse Trier, die Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur, das Bistum Trier und die Ortsbeiräte Trier-Mitte und -Nord.

„Prozess der Entmenschlichung”

Der rheinland-pfälzische Landesverband der Deutschen Sinti und Roma hatte  die Errichtung der Gedenkstätte 1998 erstmals angeregt. Dessen Vorsitzender Jacques Delfeld sprach im Hinblick auf die Deportationen von einem „Prozess der Entmenschlichung, der sich tief in das kollektive Gedächtnis unserer Volksgruppe eingegraben hat“. Dass die wenigen Überlenden nach Jahren der Zwangsarbeit um ihre Wiederanerkennung als Deutsche kämpfen mussten, bezeichnete Delfeld als „dunkles Kapitel der Nachkriegsgeschichte“. Es sei längst an der Zeit, den Antiziganismus ebenso zu ächten wie den Antisemitismus. In dieser Hinsicht hat die Stadt Trier mit der neuen Gedenkstätte am Bischof-Stein-Platz ein deutliches Zeichen gesetzt.