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09.02.2010

Alltäglicher Terror

OB Klaus Jensen im Gespräch mit vier Triererinnen, die ihre Erinnerungen zu der Zeitzeugenaktion beigetragen haben. Im Hintergrund die Telefonzelle, in der die Mitschnitte angehört werden können.
OB Klaus Jensen im Gespräch mit vier Triererinnen, die ihre Erinnerungen zu der Zeitzeugenaktion beigetragen haben. Im Hintergrund die Telefonzelle, in der die Mitschnitte angehört werden können.
Manche Passanten, die bei ihren Einkäufen über den Hauptmarkt eilen, wundern sich über eine schwarze Telefonzelle. Dort kann man keinen Anruf erledigen, sondern Trierer Zeitzeugen zuhören, die von ihrem Alltag im NS-Regime erzählen. Die Aktion der Gruppe „Pioniergeister“ gehört zum Programm des Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar.

„Da haben Nachbarn die Fenster eingeworfen, die früher Freunde waren.“ Mit diesen eindrucksvollen Worten schildert eine Triererin ihre Erinnerungen an die Übergriffe gegen jüdische Mitbürger, die sie als Kind miterlebte. Die Reichspogromnacht spielt eine zentrale Rolle in den Audio-Schnipseln. Details wie das in einem Bach gelandete Bettzeug oder klirrendes Porzellan auf der Straße lassen das Grauen lebendig werden. Zu hören gibt es aber eindrucksvolle Beispiele von Zivilcourage, wie die Großmutter, die ein jüdisches Mädchen versteckte. Die Zeitzeugen berichten zudem vom Alltag im Luftschutzbunker oder der Hetze eines Lehrers in NS-Uniform gegen den französischen „Erbfeind“.

Da in den nächsten Jahren die letzten Zeitzeugen sterben werden, die das NS-Terrorregime als Erwachsene erlebt haben, sind nach Einschätzung von OB Klaus Jensen als Schirmherr der Aktion neue Formen des Erinnerns nötig. Die Besucher der Telefonzelle werden eingeladen zu einer akustischen Reise, bei der Vergangenheit und Gegenwart sich wie Folien übereinander legen. Das durch das Programm „Vielfalt tut gut – Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ geförderte Projekt mit jungen Erwachsenen hatte nach Angaben von Jan Christoph Krüger vom Verein „Pioniergeister“ eine zweijährige Vorlaufzeit. Das Hauptaugenmerk lag auf den oft vergessenen Zeugen vor Ort, denen wieder eine Stimme gegeben werden sollte. Durch die Telefonzelle, die noch bis 10 Februar auf dem Hauptmarkt steht, werden Erinnerungen an die NS-Zeit im alltäglichen Leben der Passanten präsentiert und auch Jugendliche erreicht, die den Geschichtsunterricht oder den Besuch einer Gedenkstätte oft eher als lästige Pflichtübung ansehen.

Um das Schicksal der vertriebenen Juden noch besser im öffentlichen Bewusstsein präsent zu halten, hat OB Klaus Jensen das Buchprojekt „Trier vergisst nie“ initiiert. Es dokumentiert das Schicksal der rund 650 Juden, die aus Trier flüchten mussten und soll im März vorgestellt werden.
 
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